Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

"Mensch Opa!"

Frauen wissen Bescheid, wenn es um die Anstrengungen geht, die kleine Kinder verursachen. Väter auch, aber nicht in gleichem Maße. Noch sind sie mehr "Handreicher", mehr eheliche Dienstboten. Die wirklich harte Zeit ihrer Dauerbelastung beginnt durchschnittlich ein Jahr später. Dann ist er es, der die größer Gewordenen zum Auto tragen muss, später mit den noch größer Gewordenen Schlitten fährt und noch später - seine Kräfte lassen altersbedingt nach - und kräftesparende Radtouren auswählt, die meist zur nahegelegenen Eisdiele führen. Sechs oder sieben Jahre später verlagern sich die Zuständigkeiten erneut. Es ist die Zeit, in der Väter immer mehr vom Beruf gefordert werden und ganz automatisch jedem sich verfügbaren Großvater ungefähr fünf Jahre lang 20 bis 40 Kilo Enkel an den Hals hängen. Und das bei rapide nachlassender Kondition. Erst danach gehen die Großgewordenen ihre eigenen Wege. Doch bis dahin ist es für jeden Großvater eine Zeit immer härter werdenden Ausdauersports.  

Das wurde mir bewusst, als ich mit meiner Frau und zwei Enkelmädchen ans Steinhuder Meer fuhr. Kaum angekommen, wollten sie Tretboot fahren. "Bitte, bitte," bettelten sie. Könnten Sie widerstehen? Ich konnte nicht. "Macht 12 Euro und zwanzig Euro als Kaution für das Boot", sagte ein junges Mädchen und setzte hinzu: Um 15.30 Uhr müssen sie zurück sein. Sonst berechnen wir eine halbe Stunde mehr. Ein anderer Süßwassermatrose warf uns Schwimmwesten zu, ermahnte uns nochmal, pünktlich zurück zu sein und stieß uns ab.

Die ersten Minuten ging alles gut. Alle waren glücklich. Ich nicht, denn mir wurde mit jedem Tritt in die Pedalen klar, dass selbst die Bewegung durch völlig ruhiges Wasser die Energie eines mittleren Kraftwerkes erforderte. Ich trat wie wild in die Pedale, wurde trotzdem immer langsamer und hatte bald kein Gefühl mehr in den Beinen.

Meine Frau sah mich forschend an und fragte: "Ist alles in Ordnung mit dir?" Ich machte eine beruhigende Geste. "Antworte lieber, du siehst so rot aus", ließ sie nicht locker. Ich winkte matt ab.

Jette fragte: "Opa, warum können wir nicht so weit raus, wie die anderen," und zeigte dabei auf einen Tretbootfleck in der Ferne. Ich verkniff mir, zu antworten.

Dann wurde der Himmel dunkel, und das Wasser rauh. Als ich zur Seite sah, überholte uns eine Armada von Tretbooten, in denen Väter mit hochrotem Gesicht wie verrückt gegen den immer stärker werdenden Wind und die immer schneller verfließende Zeit anstrampelten. Ich wurde abgehängt. Als ich sechs Minuten zu spät anlegte sagte Fiona bewundernd: "Mensch Opa, das war ein Spurt!" Ich hörte kaum hin. Mir zitterten die Beine. Als ich ausstieg, strauchelte ich und fiel ins mudderige Hafenbecken. Meine Frau zog mich auf den Steg und rammte mir ungewollt aber schmerzhaft einen Holzsplitter ins Knie. Dann merkte ich, dass mir ein Schuh fehlte und sah aus den Augenwinkeln, wie fünfundzwanzig Jahre jüngere Väter aus den Booten taumelten und erschöpft zusammenbrachen. Meine Frau schaute besorgt, die Mädel lachten und Jette sagte: "Mensch Opa, das ist wirklich lustig mit dir!" Und als der Süßwassermatrose fordernd die Hand zum Kassieren wegen der Zeitüberschreitung ausstreckte, warf ich ihm einen Blick zu wie ein Raubtier. Fluchtartig verschwand er.

Im Auto zog ich die nasse Hose aus, setzte mich in Unterhosen hinter's Steuer und meine Frau warf mir eine Decke über die Knie. Kaum hatten wir Steinhude verlassen, hielt uns die Polizei an. "Alles in Ordnung," sagte er, als er meine Papiere geprüft hatte." "Nein", tönte es von den Rücksitzen. "Opa hat keine Hosen an." Der Polizist stutzte und lachte erst dann, als Jette fragte: "Muss Opa jetzt ins Gefängnis?"

Jahre sind seitdem vergangen. Die 20 bis 40 Kilo schweren Enkel wiegen heute mehr als ich. Doch die Geschichte vom "Opa ohne Hosen" blieb erhalten und irgendwann fällt auf jeder Geburtstagsfeier der Satz: "Mensch Opa, mit dir kann man wirklich was erleben!" 

 
 
 
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