Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Ein Wunder namens Fliege.

Das kennen Sie alle: Kurz nach dem Winter schwirrt plötzlich auf unberechenbaren Bahnen ein dunkler, brummender Irrwisch durch die Luft und versucht starrköpfig durch's Fensterglas zu entkommen. Gerade erst geschlüpft, endet das Leben mancher dieser Flugakrobaten schnell durch die zusammen gefaltete Zeitung eines genervten Mitmenschen. Mein "Brummer" hatte Glück. Er überlebte, weil ich seinen "Rückstand" auf der frisch geputzten Scheibe scheute. Doch ungewollt sorgte ich damit für zig- millionenfache Nachkommenschaft des freigelassenen Fliegenmannes - falls sich nicht vorher ein Vogel über ihn hergemacht hat.

Dabei hätte ich es belassen können. Doch in unserer ereignisarmen "Corona Zeit" richten sich die Sinne beim "Zuhausebleiben" zwangsläufig auf die häuslichen Kleinigkeiten. "Der Brummer" gehörte dazu und erweckte mein Interesse.

Jeder glaubt, die 7,5 mm große und 2 mm kürzere kleine Stubenfliege zu kennen. Doch kaum jemand weiß wirklich etwas über sie. Als Geschmeiß verachtet, hat sie manche List ersonnen, um ihrer Ausrottung zu entgehen. Nicht unterzukriegen, ist sie - ob wir das wahrhaben wollen oder nicht - unser häufigstes Haustier. Wir brauchen sie nicht - aber sie uns. Deshalb ist sie so "anhänglich." Als Tier der Subtropen wäre unser Klima für sie tödlich. Doch vor 9000 Jahren, als die Menschen zu Ackerbau und Viehzucht übergingen, schloss sie sich uns an. So fand sie ihr Paradies bei den Bauern in Form von Wärme, Misthaufen und Speiseresten.

Schaut man das Tier mit der Lupe an, versteht man, warum unser Kampf gegen sie aussichtslos ist: Ihre Eigenschaften grenzen an Wunder. Die Augen zum Beispiel. Groß, schön und braunrot besteht jedes von ihnen aus 4000 Einzellinsen. Jede Linse kann sich auf einen anderen Punkt der Umgebung richten. Ihre Reaktionen sind um ein Vielfaches schneller als die des Menschen. Kein Wunder, dass sie schon auffliegt, wenn unsere Hand auch nur zuckt, um zum tödlichen Schlag auszuholen. Mit rund acht Stundenkilometern ist sie nicht besonders schnell, aber äußerst wendig. Sie mit der Hand zu fangen, grenzt an Glück. Jedenfalls haben wir Ihrem Flugkünsten nichts entgegen zu setzen. 

Solche Flugakrobatik erfordert Energie. So viel, dass ein normales Blutsystem überfordert wäre. Deshalb hat sie keins und versorgt sich durch die Kontraktion ihres Körpers beim Fliegen über den ganzen Körper verteilte Luftröhren vollautomatisch mit Sauerstoff. Bei 200 Flügelschlägen pro Sekunde ist diese Versorgung viel effektiver für den Körper, als eine Lunge das könnte. Möglich macht das ihr selbstschwingendes Außenskelett. Diese Kombination in Verbindung mit nur zwei Flügeln macht sie einzigartig leistungsfähig.

Auch beim Sex. Das liebeshungrige Männchen jagt das Weibchen in furiosen Verfolgungsflügen, ergreift "sie" im Flug und landet manchmal unsanft auf unserem Frühstückstisch. Erst dann wird "er" zärtlich und drückt seiner Braut mit der Rüsselspitze einen "Kuss" auf den Hinterkopf. Das versteht sie und alles geht seinen normalen Gang. Glaubt man dem Verhaltensforscher Karl von Frisch, entstehen auf diese Weise 12,5 Millionen Kinder- und Kindeskinder in nur 4 Generationen, was drei Monaten entspricht.   

Im Herbst ist alles Geschichte. Die Brummer werden von Pilzen befallen und sterben wie die "Fliegen" Einige wenige aber überleben als Puppe irgendwo in den Fugen unserer Häuser und mit dem ersten "Brummer" im Frühjahr schließt sich der Kreis und seine Nachkommen sind bereit, unsere Welt von neuem in Besitz zu nehmen.

 

 

 


 
 
 
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