Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Macht und Magie der Worte.

Wenn wir auch glauben, dass zu sagen, was wir denken - die Wirklichkeit sieht anders aus.


"Wörter sind komische Gebilde", schimpfte mein Freund Otto, als er die Bedienungsanleitung seines neuen PC beiseite legte. "Vor allem verstehe ich die englisch klingenden Begriffe nicht."

"Sprache ist immer im Fluss", antwortete ich nachfühlend, weil ich diese Probleme kenne. "Wir müssen umlernen, Otto. Neue Wörter kommen, andere werden unmodern und junge Leute wissen oft gar nicht, was sie mit einem Wort aus unserer Zeit anfangen sollen, dem noch das Parfüm vergangener Jahrhunderte anhaftet. Und, Worte sind nicht immer das, was sie sein sollten. Sie beschönigen, verharmlosen, übertreiben und umschreiben. Und sie können gefährlich sein. Nur geflüstert, kann ein Wort einen Freund zum lebenslangen Feind machen. Ein anderes Wort kann Menschen ins Gefängnis bringen, eine Revolution auslösen, oder - im positiven Sinne - einem Verzweifelten neue Hoffnung machen."

"Und weil Worte so viel Unheil anrichten können, ist es gut, dass sich trotz aller Sprach- Modernisierungen Regeln erhalten haben, die - auch wenn oft die Verständlichkeit auf der Strecke geblieben ist - von Sitte und Anstand bestimmt werden", fuhr Otto fort.

Otto hatte recht. Es gehört sich heute nicht mehr, die sogenannten 'zotigen Worte' früherer Jahrhunderte zu gebrauchen, die obszön, schweinisch oder vulgär waren. Aber man darf nicht vergessen, dass gerade die Verwendung vulgärer Worte als alte deutsche Stammwörter im Wortschatz von Herren und ihren Knechten fest verankert waren. Erst die spätere Verfeinerung der Kultur verlangte eine vornehmere Sprache. Nur, weil die derbe Volkssprache nicht 'hübsch' genug war - nämlich 'höfisch' oder 'höflich' - wurde sie geächtet. Wer spricht denn heute noch von "Abort - Ab-ort - und das später modern gewordene Wort Klosett klingt fast ebenso plump. Die Wortwahl hat sich gewandelt, ist wohlklingender geworden und WC oder Toilette sind an ihre Stelle getreten.

Wenn wir auch heute so reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, nehmen wir doch unbewusst meist Rücksicht auf gewachsene Wort-Tabus, von denen drei Themen besonders strengen sprachlichen Beschränkungen unterliegen: Dem Göttlichen, dem Natürlichen - und damit auch dem Peinlichen - und dem Gesellschaftlichen.

Beim Göttlichen ist es der Teufel, den man sich vorsichtshalber vom Leibe hält indem man ihn nicht direkt beim Namen, sondern Leibhaftiger nennt. Beim Natürlichen und Peinlichen ist die Vielfalt der Umschreibungen größer. Selbst die täglichen Körperfunktionen wurden in Zeiten der 'Kulturverfeinerung' umschrieben. Da wurde nicht gegessen und getrunken sondern gespeist und etwas zu sich genommen. Mit "ich gehe jetzt ins Bett" lag man total daneben. Man zog sich zurück und begab sich zur Ruhe. Das ist - glaube ich - vorbei, aber beim Arzt zieht man sich immer noch nicht aus, sondern macht sich frei.

Die Frau und ihre Wäsche war schon immer Tummelplatz für Umschreibungen. 'Frauenzimmer' war zu Goethes Zeit freundlich gemeint - und mutierte später zum Schimpfwort. Dame oder Fräulein - früher Standesbezeichnung - will heute niemand mehr sein und 'Weib' erst recht nicht. Und was Frauen direkt auf der Haut tragen ist wenig. Sehr wenig manchmal. Und vielleicht sagt man deshalb nicht mehr 'Garnitur' sondern verniedlicht die Stoffreste zu Hemdchen und Höschen. Aber sicher auch, weil Hemd und Hose zu grob und männlich wirken.

Bei Verharmlosung und Schönfärberei läuft die Politik zu höchster Kreativität auf. Statt Ausgangssperre fand das englische Wort "Lockdown" Eingang ins Deutsche. Das hörte sich "runder an" an, seitdem Corona die Schlagzeilen beherrscht und verkrätzte nicht gleich am Anfang auf einen Schlag die Leute. Diktatoren töten ihre Feinde nicht mehr, sie liquidieren sie und Länder werden nicht mehr erobert, sondern befreit. Und kaum jemand auf einem wichtigen, öffentlichen Posten wird noch entlassen, sondern er hat sich beurlauben lassen, schied aus eigenen Wunsch aus oder möchte sich anderen Aufgaben zuwenden.

Und wir, wie formulieren wir? Ich meine uns, die Masse, das gemeine Volk. Das "Gemeine" scheint ausgestorben zu sein, denn landauf- und ab gibt es nur noch aufgeschlossene, selbstbewusste und unabhängige Bürger, die allesamt mindestens dem gehobenen Mittelstand angehören, sich aber dennoch - wie es die Sitte verlangt - angepasst der Zaubermacht des Wortes bedienen. "Der Kammerjäger muss her," hört sich viel angenehmer an als den Rattenfänger zu bestellen, wenn graue, langschwänzige und ungebetenen Gäste sich über die Haferflocken des Vogelhauses hermachen. Erst wir machten den Bauern zum Landwirt und später zum Agrarökonom und Autoschlosser erhielten den Titel "Mechatroniker." Als ich das Zauberwort zum ersten Male hörte, ging es mir wie Otto. Zuerst verstand ich überhaupt nicht, wer das Wunderwesen sein sollte. Dann fragte ich den Werkstattinhaber nach dem Preis, weil ich mir nicht sicher war, einen "Mechatroniker" für die einfache Aufgabe des Nachziehens meiner Radmuttern auch bezahlen zu können. "Nicht nur Kleider machen Leute, sondern auch Titel", ging es mir durch den Kopf und erzeugten eine gewisse Ehrfurcht vor jenem Mechatroniker, der mir nach weniger als einer Minute mit dem Drehmomentschlüssel in der linken Hand freundlich lächelnd die offene Rechte hinhielt. Und so, wie der volkstümliche Vergleich der "Damen mit den ähnlich klingenden Dämlichkeiten" wenig schmeichelhaft für die betroffene Bevölkerungsgruppe ist, will auch niemand mehr arm sein. Wer es dennoch blieb, wurde zu Minderbemittelten und Flüchtlinge zu Neubürgern.

Und so gesehen, nehmen wir alle viel häufiger als uns bewusst ist ein 'Blatt vor den Mund' - nur um nicht sagen zu müssen, was wir wirklich denken!

 

 
 
 
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