Als ich mit meinem Freund Otto nach langer Zeit wieder einmal auf seiner Terrasse saß, bemerkte ich ein merkwürdiges, lebhaft buntes Bauwerk hinter seiner Garage, in der sich Erika - Ottos Frau - durch die Plastikplane mit aufgemalten Fenstern abzeichnete.
"Haben Deine Enkel sich eine Butze gebaut?" Otto war entrüstet: "Die Butze ist keine Butze, sondern ein Bauwerk.“ Und ehe ich nachfragen konnte, fuhr Otto fort. "Mir schärfte man schon als Kind ein, mich niemals mit weniger als dem Besten zufrieden zu geben. Deshalb versuchte ich gar nicht erst Tennis zu spielen oder mich sonstwie hervor zu tun. Nur aus Angst davor, nicht der Beste zu sein. Ganz anders Erika - und das „Ergebnis“ siehst du im Garten. Seitdem weiß ich, dass alles was sich lohnt schlecht gemacht zu werden sogar dann noch gut ist, wenn es zweckmäßig ist.
Otto erzählte weiter: "Ich wünsche mir ein Treibhaus", erklärte mir Erika. "Das Material des abbruchreifen Schuppens nebenan kostet uns keinen Cent. Ein Holzrahmen mit einer Plastikfolie drüber tut's. Mehr brauche ich nicht."
"Ich will dir nicht die Freude verderben," sagte ich, "aber..."
"Ich wollte schon immer ein Treibhaus haben und bei meinem Alter ist es vielleicht das letzte Bauwerk, dass ich errichten kann," entgegnete sie. "Deshalb mache ich die Arbeit auch alleine. Stell dir vor, du würdest dir an den alten Latten die Hände verletzen."
Ich schwieg weil ich nicht wusste, ob sie meinte, ich wäre zu ungeschickt. Doch als sie das nachbarliche Dach auseinander nahm, konnte ich nicht anders und wollte ihr beim Nägel ziehen helfen. "Überlass die Nägel mir. Sie sitzen vielleicht genau dort, wo ich sie brauche", erwiderte sie. Da wusste ich, für welche Bauweise sie sich entschieden hatte.
Erika baute ihr Treibhaus an die Rückwand der Garage, damit es Halt bekam. "Das Ding wird schief", sagte ich, nachdem sie mehrere Tage gewerkelt hatte. "Darüber zerbrich dir nicht den Kopf", erwiderte sie. Ich weiß das und will auch gar nicht wissen, wie viel Zentimeter. Aber den Tomaten ist es egal und die Blumen werden es nicht merken. Ich will nur ein Gewächshaus, das funktioniert.
Trotz ihrer laxen Einstellung zu Lot und Wasserwaage klappte nicht alles beim Bau. Sie wurde immer gereizter. Vor allem wegen der nicht gezogenen Nägel, die hinten und vorne nicht passten und irgendwann doch herausgezogen werden mussten. Doch sie kämpfte gereizt und unermüdlich bis in in die Dunkelheit. Wenn sie aufhörte, schlief sie auf der Stelle ein, während ich für den nächsten Tag kochte, Wäsche wusch, bügelte und mir düstere Gedanken über unsere Zukunft machte.
Die Nachbarn sagten, es sei bewundernswert, was Erika sich zumute. Charakterstärke nannten es die Einen, Unternehmungsgeist die Anderen. Aber dass ich neben meiner eigenen Arbeit auch die ihre machte, erwähnte niemand
Irgendwann war das "Gewächshaus" fertig. Das Gewirr von schiefen Latten verführte mich zu der unvorsichtigen Bemerkung, mit viel bunter Farbe könne ihr Bauwerk dem eines weltbekannten Hundertwasser- Gebäudes ähneln. Zunächst war eisiges Schweigen war mein Lohn, dann kam Leben in sie, fuhr zum Baumarkt und kam mit einem Sammelsurium von Pinseln und Farben zurück. "Das kann ja heiter werden," entfuhr es mir. "Ja, und bunt", antwortete sie und danach gab's kein Halten mehr. Was ihr an handwerklichem Geschick fehlte, glich sie durch kreative, manchmal etwas grelle Farbgebung so locker aus, dass sogar meine Blumenbeete dagegen blass aussahen und.
Später fand ich Erika in ihrer Plastikhütte auf dem Gartenstuhl. Ihr Blick glitt über duftende Blumen und Gewürzpflanzen und Mozart ertönte aus einem Lautsprecher. "Zum ersten Male genieße ich mein schiefes „Hundertwasser Haus", rief sie grinsend. "Schief? Na wenn schon! Die Tomaten stört das nicht. Mich auch nicht mehr und…“ Erika unterbrach mich: „Ab heute koche ICH wieder“, und hielt mir lächelnd ein Körbchen schiefer, kleiner Bohnen vors Gesicht.