Auf einem Schützenplatz stieg mir der Duft Thüringer Bratwurst so verlockend in die Nase, dass mein kalorienvermeidender Vorsatz sich ins Nichts auflöste. Ich langte zu. Als Deutscher kann man gar nicht anders, als sich eine Bratwurst zu bestellen, wenn man dran vorbei kommt. Unsere Gene sind schuld, denn nicht ohne Grund beanspruchen wir Deutschen für uns, die Wurst erfunden zu haben.
Doch das stimmt nicht ganz. Einen primitiven Vorläufer produzierten schon die Sumerer vor etwa 5000 Jahren, als sie grob gehacktes Fleisch in Schweinedärme füllten, um so die breiige Masse als „Schlauchwurst“ besser transportieren zu können. Die Römer machten es ihnen nach, um ihre Söldner in England zu ernähren und so verbreitete sich die Kunde von der „Entdeckung der Wurst“ schnell bis in die letzte Ecke des römischen Reiches.
Aber so, wie ein Ziegelstein noch lange kein Haus ist, war auch die „Schlauchwurst“ der Summerer nur der Anfang zur Wurst. Erst die Deutschen machten sie zu dem, was wir als Wurst durchgehen lassen: Einer Delikatesse, die zu jeder Mahlzeit passt. Sie dünsteten, räucherten, trockneten, brühten und experimentierten mit so viel Ausdauer und noch mehr Fantasie, dass manchmal sogar das Ansehen einer ganzen Stadt von ihren Würsten abhing. Zum Beispiel die Münchner Weißwurst, die Nürnberger Stadtwurst, die Lübecker Saucisson oder die Thüringer Rotwurst - nur um einige zu nennen. Bei den Wiener Würstchen ist die Sache unklar, denn ausgerechnet in Wien werden diese Würstchen als „Frankfurter“ verkauft.
Bei der Salami ist klar, woher sie stammt. Trotz der rund 2000 Wurstsorten hierzulande sind uns die Italiener in dieser Spezialität überlegen. "Die beispiellose Vielfalt im Geschmack der Salami entsteht durch den Reifeprozess“, erklärte mir ein Restaurantbesitzer und leidenschaftlich fuhr er fort: „Das ist so, als ob man Wasser in Wein verwandelt.“ Noch ein Stern leuchtet am italienischen Wursthimmel. Die Mortadella. Ihre Heimat heißt Bologna. Sie macht Kinder, denen der Schlachter im Laden eine Scheibe davon in den Mund schiebt glücklich und uns auch, weil sie auf keiner Aufschnitt Platte fehlt.
Aber ausgerechnet die für ihre feine Küche berühmten Franzosen verschliefen die Entwicklung des "Summerer Schlauchs" zur Wurst. Um überhaupt noch eine erwähnenswerte Rolle spielen zu können im Wettlauf "um die Wurst", blieb ihnen nur noch übrig, einen Schutzpatron dafür zu benennen. Und schon gab‘s Streit. Dazu bestimmt, alle Wurstmacher unter seine Fittiche zu nehmen, beanspruchten prompt die französischen Andouille- und Andoullette Enthusiasten den heiligen Antonius als Schutzheiligen für sich allein. Vielleicht zu Recht, denn diese beiden Wurstvariationen sind etwas ganz Besonderes. Die Zutaten aber gewöhnungsbedürftig. Schweine Innereien gemischt mit einer Gewürzmischung aus Zwiebeln, Salz und Pfeffer und geformt zu 15 cm langen Würstchen begeistern jeden Feinschmecker. Mich auch.
Wenn Würste auch verschiedene Namen haben wie Sausage, Insaccato, Saucisse oder – ganz einfach - nur Wurst heißen - der Wurst ist es „wurscht“ wie man sie nennt. Sie würde auch ohne Namen alle Herzen und Mägen auf der Welt durch Vielseitigkeit und unnachahmlichen Geschmack erobern. So gerüstet, ist sie nicht klein zu kriegen und trotzt allen Kampagnen, die sie - aus Klimaschutzgründen! - am liebsten abschaffen wollen. Der Schuss geht nach hinten los und ich bin sicher, dass auch weiterhin jeder Deutsche kräftig zulangen und im Jahr weiterhin rund 30 Kilo davon verzehren wird und uns damit jedes Jahr erneut zum Weltmeister macht.
Zum Abschluss meiner Entdeckungsreise ins Land der Würste kam mir meine Kindheit in den Sinn mit den kleinen, weißen Knappwürsten, die der Haus Schlachter an uns Kinder verteilte. Sie blieben für mich die Nummer eins – bis heute, werden aber hart bedrängt von der Rostbratwurst vom Schützenplatz.