Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Beiß nicht gleich in jeden Apfel

Nach einem Ausflug zur Obstblüte ins Alte Land beschloss ich vor langer Zeit, "Hobbyapfelbauer" zu werden und pflanzte euphorisch 18 Apfelbäume. Überwiegend Spalierobst - aus Platzgründen - und wenige Jahre später verwandelte sich der Garten tatsächlich in ein Blütenmeer. Als aber aus den Bäumchen wirkliche Bäume wurden, wehrten sie sich immer energischer dagegen, zum Spalierobst verstümmelt zu werden.

Es musste etwas geschehen. "Die Schere des Gärtners ist die Sprache der Bäume," las ich und begann mit meinem "Erziehungsschnitt." Die Antwort waren "Wasserschosse", lang wie Holunderzweige. Ich "sprach" wieder zu den Bäumen - energischer nun - indem ich noch mehr abschnitt und löste dadurch eine wahre Wuchsorgie aus. Im Herbst aber zeigten sie, wer wirklich Herr im Garten ist und produzierten neben Unmengen Holz massenweise Äpfel, die Rasen und Gehweg verschmutzten. Nach einiger Zeit roch der Garten durch das gärende Obst nach Apfelwein, mein Nachbar murrte und ich sägte alles ab - bis auf zwei Bäume - der Befruchtung wegen.

Mein "Apfelbauerdasein" war damit beendet, aber die Begeisterung für Äpfel blieb. Ich deckte mich mit Literatur ein, las, was ich alles falsch gemacht hatte und erfuhr, dass ein Birnbaum nichts anderes sein kann als ein Birnbaum, ein Apfelbaum aber mehr ist. Er wuchs schon vor Evas Zeit auf dieser Erde im Garten Eden. Als Lockmittel des Teufels - in Form einer Schlange - wartete Belzebub nur darauf, dass Eva nach ihrer wundersamen Verwandlung aus Adams Rippe in einen rotbäckigen Apfel biss. Wir machen ihr daraus heutzutage einen Vorwurf, aber ohne jede Schulbildung konnte Eva nicht wissen, dass Apfelbaum lateinisch "Malus" heißt - was als "böse" übersetzt werden kann! So gab sie der Verlockung aus den gleichen Gründen nach, wie heutige Frauen bei einem Stück Kuchen selten nein sagen können. Doch die Folgen von Evas Naschsucht haben wir auszubaden: Der Garten Eden wurde abgeschafft, Eva mit ihrem Adam an die frische Luft gesetzt und wir Nachkommen müssen zur Strafe im Schweiße unseres Angesichts für unseren Lebensunterhalt arbeiten. Einziger Nutznießer war die Modeindustrie. Sie blühte mächtig auf im "Nach-paradieszeitalter", in dem es zu kalt wurde für das gebräuchliche "Feigenblatt." Doch es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Adams Versagen. Vielleicht haben ihn Evas Reize zu sehr abgelenkt. Bestimmt sogar. Aber als Mann und Beschützer hätte er trotzdem klaren Kopf behalten und die Schlange rechtzeitig "beseitigen" müssen. Wir lebten noch heute im Paradies!  

Nach diesen schlechten Erfahrungen mit Äpfeln trat lange Zeit Ruhe ein. Erst 5000 Jahre vor Christi wurde der Apfel auf babylonischen Tontafeln wieder erwähnt und auch unsere Vorfahren entdeckten den Apfel neu. Er machte nicht nur als Frucht, Bratapfel, Apfelwein, Apfelmus, Essig oder Apfelkuchen Karriere, sondern auch als Symbol für Liebe, Macht und Leben. Neben Krone und Zepter symbolisiert der Reichsapfel die Herrschaft des Königs. Und als Liebesorakel legten früher ledige Mädchen in der Andreasnacht im November einen Apfel unter ihr Kopfkissen, damit ihnen im Traum der künftige Ehemann erschien. Die Weihnachtsmärkte sind voll mit Karamell überzogenen Liebesäpfeln und in den Kindergärten wird gesungen:

"In meinem kleinen Apfel, da sieht es lustig aus. Es sind darin fünf Stübchen, grad wie in einem Haus. In jedem Stübchen wohnen zwei Kernchen schwarz und fein. Sie liegen drin und träumen vom hellen Sonnenschein."

Wilhelm Tell wählte für seinen legendären Schuss einen Apfel als Ziel und bei Isaac Newton fiel der Groschen erst, als ein Apfel beim Mittagsschlaf seinen Kopf traf. Erst zu diesem Zeitpunkt dämmerte ihm: 

"Die Schwerkraft, die die Welt zusammen hält ist's, die meinen Apfel lenkte und mich so unsanft zur Erkenntnis weckte!" 

 
 
 
E-Mail
Anruf