Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Abergläubisch bin ich nicht, aber...

Wer gibt schon gern zu, dass er abergläubisch ist, nur um dann hinter vorgehaltener Hand als einfältig angesehen zu werden? Niemand! Aber der Aberglaube ist weiter verbreitet, als man annimmt und das auch bei Leuten, die als gebildet angesehen werden.

Sogar bei meinem Freund Otto beobachtete ich das mehrmals. Als Diplomingenieur an glühende, seelenlose Gießereitechnik gewöhnt, wollte er mich vor einiger Zeit davon überzeugen, warum man nicht unter einer Leiter hindurch gehen sollte. "Das macht kein vernünftiger Mensch", fiel ich ihm ins Wort. "Man könne ja einen Eimer Farbe auf den Kopf bekommen, einen Hammer oder noch was Schlimmeres." Mein Argument ließ ihn kalt. "Grundsätzlich", dozierte er voller Ernst, "bildet eine angelehnte Leiter ein heiliges Dreieck, welches nicht durchschritten werden darf. Macht man's trotzdem, bedeutet das Unglück auf unbestimmte Zeit." Als ich ihm danach arglos von meinem Wandspiegel erzählte, der vor anderthalb Jahren nachts von der Wand gefallen und in Stücke gegangen war, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. "Sieben Jahre Unglück", rief er entsetzt. Ich beruhigte ihn. "Otto, anderthalb Jahre habe ich davon bereits schadlos überstanden und außerdem ist er allein runter gefallen. Folglich habe habe auch nicht in den Spiegel geschaut und deshalb kann meine Seele auch nicht mit ihm gemeinsam zerbrochen sein. Und um ganz sicher zu gehen, bin ich am Morgen nicht im Kreis um die Scherben herum gegangen, sondern habe alles nur von einer Seite her aufgefegt. So gesehen, hatte ich noch Glück im Unglück, weil es ohne mein Zutun passiert ist." Otto schwieg und ich beließ es dabei. Kurz vorm Abendessen verschüttete Otto Salz beim Auffüllen des Salzstreuers. Ich beobachtete ihn dabei, als er hastig etwas davon aufraffte und sich über die linke Schulter streute. "Um den Teufel ins Auge zu treffen", sagte er scherzend, als ich ihn nach dem Grund fragte. Ich gab mich damit zufrieden, wusste aber, dass er es ernst meinte. Denn er lächelte erst, als ich ihn auf sein merkwürdiges Tun ansprach. 

"Alles leere Riten", erklärte mir ein befreundeter Wissenschaftler, als ich ihm von meinen Erlebnissen bei Otto erzählte. "Es gibt viele Arten von Aberglauben", fuhr er fort. Die Orakelbefragung gehört genauso dazu, wie der Götzendienst. Der Anblick von Hufeisen, Glückspilzen und jeder Menge anderer Glücksbringer auf den Tischen von Prüflingen spricht 'ne deutliche Sprache. Aber warum Astronauten sich neuerdings in keine Rakete mehr setzen, ohne Erdnüsse dabei zu haben, kann ich dir nicht beantworten. Diese neue Form des Weltraum Aberglaubens muss noch erforscht werden."

"Und was hältst du von den Schuhen, die jemand seiner Liebsten schenkt?" "Der Mann ist selbst schuld, wenn sie ihm davonläuft", antwortete er süß-sauer lachend. "Du weißt ja, wovon ich rede...!"

Ich gebe zu, ich unterscheide mich in dieser Beziehung wenig von anderen Menschen. Meine Katze habe ich so ausgesucht, dass sie nicht Pech-Schwarz ist, sondern weiße Pfoten hat. Schuhe stelle ich sowieso nicht auf den Tisch - wer macht denn so was überhaupt?! - und die Zahl 13 meide ich, wo immer ich kann und setze, wo es geht, dafür die 12 A ein. Als Segler bin ich besonders vorsichtig. Um Neptun gnädig zu stimmen, kratze ich immer mit den Fingernägeln am Mast, bevor ich zu einem Segeltörn aufbreche. Damit's auch richtig wirkt, opfere ich ihm zusätzlich noch einen anständigen Schluck Rum über die Bordwand. Dem Klabautermann bin ich noch nicht begegnet. Aber wenn er erscheinen sollte, bekäme auch er einen Grog, bei dem der Löffel im Glase stehen bleibt. Vielleicht ist er mir deshalb noch nicht erschienen. Erst nach diesen Überlegungen und Vorbereitungen heißt es: "Leinen los." Natürlich mache ich das nur aus Spaß. Natürlich. Aber tief im Inneren bin ich mir da nicht mehr so sicher. 

 
 
 
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