"Wir grüßen dich Herbst - sei willkommen!
Du hast den Sommer nun verdrängt.
Ganz plötzlich haben wir vernommen:
Dein buntes Kleid wird aufgehängt -
in Farben - die kein Maler malt.
Der Wind ist deine Melodie,
mit der du tönst nun übers Land,
und das, was in den Bäumen reift,
zu Boden wirfst mit harter Hand.
Trotz deiner Tücken - wir mögen dich.
Und wirst du geh'n, dann freu'n wir uns aufs nächste Jahr,
aufs milde Licht, in dem die warmen Farben dann, uns wiederum entzücken."
Dieses kleine, vielleicht technisch nicht ganz "fertige", aber inhaltlich alles beschreibende Gedicht eines unbekannten Künstlers inspirierte mich beim Blick aus dem Küchenfenster in einen verwilderten Park, meinen Gedanken über eine Jahreszeit freien Lauf zu lassen, die so wechselhaft sein kann, wie kaum eine andere. Über Jahrhunderte ineinander verwachsen, sich gegenseitig mit ihren Ästen stützend schiebt sich im Sommer ein Wall aus uralten Eichen und Lindenkronen in das Blau eines Himmels, wie ihn nur der April oder der frühe Herbst hervorbringen kann. Heute sind die Konturen der Baumriesen im Grau des Sprühregens verschwommen. Spätestens in dreißig Tagen aber wird sich der grüne Wall in herbstlicher Sonne zum "bunten Kleid" wandeln. Dann wird es heller sein in Haus und Garten und noch heller, wenn später auch die Farben verschwunden sind und nur noch schwarze, regellos geformte Äste sich in den Himmel recken. Auf ihnen, ein schwacher Ersatz, werden sich dann rotbraunen Farbtupfern gleich, in wilder Hast Eichhörnchen die Stämme hinauf und hinunter jagen. In dieser Zeit werden - gelegentlich nur - müde, kalte Sonnenstrahlen Garten und das Innere der Räume erhellen. November. Von ihm erwartet man nicht, von der Sonne gewärmt zu werden. Auch nicht, dass er uns nach draußen locken will. Er hat ja nichts zu bieten als lange Nächte und den Geruch vermodernden Laubes. Ganz anders die Wärme eines Kaminfeuers. Kaum etwas ist gemütlicher, als die strahlende Wärme brennender, knackender Holzscheite, wenn draußen der Wind um den Hausgiebel pfeift. Kaum etwas verbindet uns mehr miteinander, als das Glas roten Weines in einer Hand und dabei den Worten des oder der Geliebten zu lauschen. So kann eine Stimmung des Zusammengehörens entstehen, die - mehr noch als im Winter - dem Herbst gehört und die der Sommer durch zu viel an Aktivität nur selten zulässt. Solches Zusammenrücken hilft uns über die trüben Seiten des Herbstes hinweg. Und auch die Gedanken an Weihnachten, an die vielen Veranstaltungen in der Vorweihnachtszeit, die Adventssonntage - die fast immer auch dem Herbst gehören - und freuen uns auf das Zusammensein mit unseren Kindern und allen, die dazu gehören. Und auf den Winteranfang - drei Tage vor dem Heiligen Abend.
An ruhigen, heiteren Herbsttagen denkt kaum jemand daran, dass jene Herbststürme, die urplötzlich über uns hinwegfegen, oft die Überreste alles zerstörender Hurrikane sind. Stürme, die sich vor der Westküste Afrikas in den Tropen bildeten, den Atlantik zweimal überquerten, um ihr zerstörerisches Werk in der Karibik nun als Orkantief bei uns fortzusetzen und die Äpfel von den Bäumen schütteln. Sie sind "die harte Hand" von der im Gedicht die Rede ist. Sie sind Teil des Umbruchs, den der Herbst als Zeichen setzt.
Gestern am späten Abend trat ich hinaus in den Garten und lehnte mich an eine Stütze meines Hauses. Alles war still. Nur erste, trockene Blätter fielen fast lautlos durch den Streifen Licht an der Haustür. Ich blicke nach oben. Die schmale Mondsichel spendete kaum Licht. Aber die Sterne - und sie tauchten Haus und Garten in geheimnisvolles Silber und durch dieses Sternendickicht flog unser Planet - das wurde mir plötzlich bewusst - und alles mit ihm, was sich auf ihm befindet und niemand hat eine Möglichkeit, diesen Flug zu beeinflussen.
Mein Ohr war ganz auf diesen leisen Moment gestimmt. Und dann vernahm ich ein Trippeln. Ein dunklerer Schatten bewegte sich zwischen den fahleren Schatten meiner niedrigen Büsche und ich wusste, es ist der Igel, der sich schon im Sommer im Nadellaub der Scheinzypresse durch seine "Schnarchgeräusche" verraten hatte. Und dann noch ein Schatten, lautlos und warm und schnurrend, der um meine Füße strich. Meine Katze.
Die nächsten Tage gibt es viel Arbeit, bevor der angesagte Regen mich ins Haus verbannt.
Die Dachrinne muss gereinigt und die Gartenmöbel in den Keller geräumt werden. Der Sonnenschirm ist schon unten, aber die übrigen Aufgaben lasse ich unerwähnt, weil mich der große Haufen Brennholz beunruhigt, der noch ins Trockne geschafft werden muss. Und so bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Von Herbstgedanken allein wird kein Holzhaufen weggeschafft. Anpacken ist gefragt, sonst wird's nichts mehr mit züngelnden Flammen im Kamin, die sich im Glase des roten Weins widerspiegeln.