Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Der Winter lässt mich kalt 

Eigentlich ist es weniger der Winter, der mir unangenehm ist. Den könnte ich überbrücken, wenn ich beim ersten Schneegestöber bis Anfang März unter die Decke kriechen würde und nur zum Essen raus käme. Es ist was anderes. Es sind diese Freiluftenthusiasten, die mir die kalte Jahreszeit so unerträglich machen mit ihrem Schneekult, dem scheinbar die ganze Nation verfallen ist. Sogar mein Nachbar redet mir ein, nur Wintersportler wären gesellschaftsfähig, weil nur sie den wahren Lebensstil pflegten. Und der Mann, der neben mir beim Bäcker stand meinte sogar: "Nichtwintersportler seien Parias - also Ausgestoßene der Gesellschaft." Harte Worte und gut daran war nur, dass er "dran war beim Zahlen" und ich ihm deshalb meine Meinung nicht sagen konnte.
Mich lässt das allgemeine Verlangen, rutschend - egal wie - von oben nach unten zu kommen, eiskalt. Dieser Winter kommt mir ganz gelegen, aber letztes Jahr sah alles anders aus. Schnee fiel in Massen und das ist schon schlimm genug. Auch dann, wenn er frisch gefallen ist und gut aussieht. Aber ich habe was dagegen, wenn er mir in den Nacken dringt, mir eiskalt den Rücken runter läuft und die zugefrorene Pütze verdeckt auf der ich ausrutschte und hinschlug, ehe ich begriff, was wirklich passierte. Die Beine kann ich mir bequemer zuhause brechen, wenn ich die Treppe runter falle. Aber das bei angenehmen Zimmertemperaturen und nicht bei 10 Grad Minus.
Ich bin überzeugt, der ganze Winterrummel ist nichts anderes als das Werk eines Geheimordens von Reisebüros, Skipistenbetreibern, Hotelbesitzern und Fluggesellschaften. Das sind die Drahtzieher, die unterstützt werden durch Hersteller von Krücken, Rollstühlen und allem, was noch in diese Kategorie gehört. Die Liga der Sonnencremefabrikanten rührt kräftig mit im Karussell des Geheimordens und auch der Bund der Leichenbestatter, von denen manche Mitglieder ihre Leichenwagen am Fuße der Pisten als Hilfskrankenwagen vermieten. Die Clique aus Ölkonzernen, Schneekettenherstellern und Gefrierschutzmitteln hätte ich beinahe vergessen und auch die Sportbekleidungsindustrie und die Schuhhersteller und die Skihersteller und mir wird schon ganz schwindlig beim Gedanken an die, die unbemerkt im Hintergrund mitmischen beim großen Konzert der winterlichen Verführung. Doch so verschieden alle sind: Sie sind sich einig wenn sie locken: "Kommt und genießt die Wunder des Winters!"
Dabei hat die Landschaft mit ihren formlosen Buckeln im Weiß des fallenden Schnees höchstens den Zauber eines schlecht gemachten Bettes. Kurz vor Weihnachten bildete ich mir sogar ein, das Klingeln käme vom Weihnachtsmann, der sich auf diese Art mal ganz anders als gewöhnlich anmelden würde. Ich hatte mich zu früh gefreut. Es war das Telefon und am anderen Ende mein winterromantisch veranlagter Nachbar, der sich im Schnee festgefahren hatte.
Und überhaupt, was soll - bei Licht besehen - romantisch sein an der kalten Jahreszeit? Eine Schönheit im Bikini auf einem sonnigen Sandstrand sieht viel hübscher aus als eine, die eingezwängt in 4 Pullis und pelzgefüttertem Anorak auf der Liege liegt und dort den letzten noch sehenswerten Rest ihres Körpers hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt.
"Nein und nochmal nein", rief ich meinem Nachbarn zu, als ich ihn aus der Schneewehe herausgezogen hatte. "ich fahre lieber in die Wärme des Südens und überlasse euch Kaltluftathleten neidlos eure Frostbeulen, erfrorenen Ohren und Triefnasen. Dort genieße ich mein Eis im Whisky am Pool bei leiser Musik und von dort wandert mein Blick versonnen zu den sich im Abendwind anmutig bewegenden Palmen und ich weiß genau: 4000 km nördlich, zur gleichen Zeit, prahlen einige der winterlichen Lebenskünstler damit, wie herrlich es ist, mit 100 Sachen in einer Schneewand zum Stillstand zu kommen.

 
 
 
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