Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Von Nussknackern, Räuchermännchen und naiver Kunst.



Als ich am 1. Advent die kurvenreiche „Silberstraße“ von Freiberg ins Erzgebirge hinauf fuhr, versteckten sich die rundlichen Bergkuppen neben der Straße urplötzlich hinter dichten Nebelbänken. Selbst die Kronen der Alleebäume lösten sich im Grau auf und das Glitzern auf der Straße mahnte zur Vorsicht. Ich ging vom Gas und überlegte mit meiner Begleiterin, ob sich eine Weiterfahrt nach Seiffen überhaupt lohne, da brach genauso plötzlich wie sie verschwunden war, blendend die Sonne durch's bedrückende Grau und ihr Licht verwandelte Wiesen, Felder und Bäume in von Schnee und Rauhreif überzuckerte Märchenwelten. Freundlicher konnte uns das Spielzeugdorf Sachsens nicht begrüßen. 

Der runde Turm des Schlosses Purschenstein stach spitz ins Blau des Himmels und wies uns den Weg zum Nussknacker Museum. In Norddeutschland weniger verbreitet, gehören diese streng aussehenden Figuren zum Advent des Erzgebirges genauso, wie bei uns Adventskranz oder Schwibbogen. Ich mag diese bunten Nussknacker, seitdem einer davon mein Küchenfenster ziert. Unbewusst verknüpfe ich ihre bunte Bemalung mit der Kunstrichtung "naive Malerei", die mich besonders anspricht. „Als Laien- oder Sonntagsmalerei früher belächelt“, erklärte mir ein fachkundiger Museumsbesucher, „ließen sich mit dieser einfachen, aber ausdrucksstarken Bemalung der Figuren die grimmige Obrigkeit früherer Zeiten symbolisch am besten zur Geltung bringen. Polizisten, Förster, Soldaten und überhaupt alle hohen Herren machten den Bergleuten damals das Leben schwer. In diesen Figuren sollten „die Schinder“ sich wiedererkennen und begreifen wie es sein kann, immer und immer wieder harte Nüsse knacken zu müssen.  

Anfangs war die Herstellung und der Verkauf von Seiffener Spielzeug in dieser abgelegenen Gegend nur ein Zubrot für die Bergleute. In einer Zeit aber, als die Bergwerke immer weniger Erz lieferten und immer mehr Bergleute arbeitslos wurden, entwickelte sich dieser Nebenberuf nach und nach immer mehr zur Haupteinnahmequelle. Doch trotz der nun gewerbsmäßig betriebenen Spielzeugherstellung vergaßen die „Seiffener“ nicht, an ihre von Armut geprägte Vergangenheit zu erinnern. Das gelang ihnen mit den gemütlichen Räuchermännchen besonders gut. Mit ihnen schufen sie sich entweder ihr eigenes, genügsames  Ebenbild oder symbolisierten auch beliebte Dorftypen wie Postboote oder Nachtwächter.

„Es ist kein Zufall, dass Lichtengel und Bergmann als Paar die bekanntesten Symbolfiguren des erzgebirgischen Weihnachtsfestes wurden“, erzählte mir der Inhaber eines Geschäftes im Zentrum von Seiffen. „Der Lichtengel drückte die Sehnsucht der unter Tage arbeitenden Menschen nach Helligkeit aus. Nicht nur zu Weihnachten. Immer – und es entstand der Brauch, in die Fenster ihrer Hütten für jedes Kind einen Engel zu stellen. Auch diese Fenster – er zeigte auf zwei kleine Fensterchen - schmückten früher Lichtengel.“ Selbst zu Zeiten der atheistischen DDR wurden Engel und Weihnachtskrippen geduldet und produziert. Sie waren als Volkskunst Exportschlager. 

Und weil das Regime Devisen brauchte, siegte kaufmännische Vernunft über ideologisches Denken und erhielt dadurch die alte, traditionelle Volkskunst des Erzgebirges am Leben.

Andere Vertreterinnen der himmlischen Gattung „Engel“ sah ich in allen möglichen Variationen. Tausendfach, - und fast immer nur mit einem kurzen Hemdchen bekleidet, ruhten die jungen Mädel  statt in Liegestühlen im Horn des aufgehenden Mondes, spielten Geige oder Posaune und unterschieden sich von menschlichen Urlaubern nur dadurch, dass sie Flügel in allen möglichen und unmöglichen Farben hatten.

Auch der Schwibbogen ist bergmännischen Ursprungs, erfuhr ich. Am "Zechenheiligabend" war es Bergmannsbrauch, zur letzten Schicht vor dem Weihnachtsfest - "zur Mettenschicht" - brennende Grubenlampen halbkreisförmig vor das Mundloch des Stollens zu hängen. Dies inspirierte 1726 den Bergschmied Teller, eine schmiedeeiserne Nachbildung anzufertigen. Sein eisernes Werk gelang und seitdem schmücken milliardenfach aus Holz hergestellte Schwibbbögen nicht nur die Städte und Dörfer des Erzgebirges, sondern erleuchten überall in der Welt ungezählte Advents- und Weihnachtsfenster.  

So, wie die Bergleute früherer Zeiten den Engel als Symbol des Lichts verehrten, brennt auch in uns der Wunsch nach Helligkeit. Auch wir zünden an langen, dunklen Winterabenden Kerzen an und erfreuen uns in ihrem weichen Licht an Nussknackern, Pyramiden, Räuchermännchen, Weihnachtskrippen und "naiver Kunst." 







 
 
 
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